Das Haus Rosenstraße 94 befindet sich heute in einem ehemaligen Wohn- und Gewerbe- gebiet. Zwischen Kohle- und Güterbahnhof gelegen wurde dieses Areal im Zweiten Welt- krieg weitgehend zerstört und weist heute nur noch vereinzelt Reste seiner ursprünglichen Bebauung auf.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war dieses Gebiet stilles Gartenland mit einigen Vorstadthäuschen.
Erwähnung fand die Rosenstraße bereits 1466 als Roßingasse und 1478 als Rosengasse. Angeblich erfolgte die Benennung nach einem dort befindlichen Gasthaus mit Rosen im Schild. Der sich stadtauswärts anschließende unbebaute Weg, der schließlich in die Freiberger Straße mündet, erhielt 1844 die Bezeichnung Rosenweg.
Hier grenzten die damals noch selbständigen Gemeinden
Löbtau und Plauen an Dresden. Der Bau der Sächsisch-Böhmischen
Eisenbahn 1848 führte in den darauffolgenden Jahrzehnten zu einer
dichten Bebauung der Seevorstadt. Binnen weniger Jahrzehnte war das
Gelände zwischen Freiberger Straße und Rosenweg vollständig von
Gleisanlagen umgeben: Im Norden der Kohlenbahnhof der Albertbahn, im
Süden ein 1,5 km langer Güterbahnhof.
Karte aus Meyers Reisebücher:
"Dresden und die sächsische Schweiz"
1896
Links unten die Maschinenfabrik C.E.Rost
Bei der Maschinenfabrik am Ende der Rosenstraße handelt es sich um
die Firma C.E.Rost. Sie war als Maschinenbau- u. Dampfkesselfabrik
eingetragen
und baute z. B. Plattenkühl- maschinen für die Seifenherstellung,
Dampfmaschinen und u.a. auch Gaskandelaber für die Stadtbeleuchtung. Der
aufmerksame Besucher Dresdens findet außer Gaslampen auch Kanaldeckel und Schachtabdeckungen, die in
der Rosenstraße gegossen worden sind.
Foto: Stefan Pohl Quelle:http://manholecovers.de
In der Güterbahnhofstraße erwarb Heinrich Ernemann 1889
eine in Konkurs geratene Tischlerei. Hier beschäftigte er fünf
Gesellen, die Holzkameras herstellten. Im Jahre 1898 wurde die Erne- mann
AG gegründet, die schnell die Vormachtstellung in der deutschen
Kameraindustrie errang. Heute erinnert an jene Zeit der Ernemannturm,
der später zum Markenzeichen der weltbekannten Dresdner Kamera-und
Kinoindustrie wurde.
Wo die Eisenbahntrassen verliefen, siedelten sich Gewerbe und Industrie an. Am Beispiel der Rosenstraße lässt sich ein Stück Dresdner Industriegeschichte nachvollziehen. Im Jahr 1909 bestanden in Dresden 41 177 Gewerbebetriebe, von denen die meisten im 19. Jahrhundert gegründet wurden. Die Mehrzahl entwickelte sich aus kleinsten Werkstätten in den Hinterhöfen der enggebauten Innenstadt und breitete sich gegen Ende des Jahrhunderts entlang der Eisen- bahnlinien aus. Zum Beispiel die (Schwerter-)Schokoladenfabrik Riedel & Engelmann, die 1888 in der Rosenstraße gegründet worden war: Infolge des guten Absatzes konnte sich die Firma bald vergrößern und wurde 1890 auf die Zwickauer Straße Nr. 118 verlegt, wieder unmittelbar an die Bahnlinie.
Eine Glasfabrik für die Produktion „ordinärer Glaswaren“ entstand 1862 unweit der Einmündung der Rosen- in die Freiberger Straße. Hans Siemens war der Gründer, nach seinem Tod 1867 übernahm Friedrich Siemens die Glasfabrik in Dresden-Löbtau. 1868 wurde ein kontinuierlich arbeitender Wannenofen mit Regenerativfeuerung für die Massenerzeugung von Glasflaschen eingeführt. An der Freiberger Straße ließ das Unternehmen große Arbeiterwohngebäude errich- ten, die vor allem der Aufnahme der vielen zugewanderten böhmischen Glasmacher dienten.
Die Gleisnähe mag auch der Grund für die Ansiedlung der Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ in der Rosenstraße 91-101 gewesen sein. Hier befand sich viele Jahre der Hauptsitz, von hier aus wurden über 100 Ladengeschäfte im Stadtgebiet beliefert. Auf dem Gelände befand sich u.a. eine eigene Großbäckerei, von der aus die Dresdner Konsum-Verkaufsstellen noch bis 1990 versorgt wurden.
Werbe-Email- schild
ca.1920
abgekantet schabloniert 120x80 cm
In der Rosenstraße Nr. 32 begann 1870 der Aufstieg der bedeutenden „Cacao-, Chocoladen-, Confecturen-, Marzipan- und Waffelfabriken“ von Hartwig und Vogel, als nämlich Heinrich Vogel (1844-1911) in die Zuckerwarenfabrik seines Onkels Friedrich Hartwig eintrat. In Sammler- kreisen sind noch immer die zeittypischen bunten Sammelbildserien von Hartwig & Vogel beliebt. Das Areal der Fabrik wurde von der Rosen-, der Ammon- und der Freiberger Straße begrenzt.
Die im Krieg zerstörte Schokoladenfabrik
wurde nach 1945 behelfsmäßig wieder aufgebaut und stellte bis 1990 unter dem
Namen „Elbflorenz“ wie früher Schokoladen und andere Süßwaren her.
Werbeaufsteller für Schaufenster
Noch nach einem Jahrhundert ist das Zusammenwirken von Fertigwarenindustrie einerseits und Hilfsindustrie andererseits sichtbar. Die Zigaretten- und Schokoladenfabriken zogen mit ihrem Bedarf an Etiketten und Verpackungen die Entstehung von Kartonagenfabriken nach sich. Eine davon, die "Wiener Postcarton Fabrik S.Simon" , befand sich auf der rückwärtigen Seite der Rosenstraße 94-96. Im Jahr 1939 wurde daraus die "Curt Kranz K.-G".
Die Rosen- straße stadt- einwärts ge- sehen.
Das Bild wurde in den 30er Jahren auf- genommen.
Rechts im Bild die Nr. 63, im Hintergrund die Eisenbahn- brücke, darüber ein Zeppelin- luftschiff.
Im Eckhaus Rosenstraße/Jagdweg 1 führte Friedrich
Bernhardt ab 1931 die "Rehbockschänke", eine von vielen zeittypischen
Gastwirtschaften dieser Gegend.
Das Hinterhaus Rosenstraße Nr.94 wurde 1879 gebaut. Das Vorderhaus stand zu diesem Zeitpunkt schon. Die Wohnungen
waren mit Kachelöfen ausgestattet, in den Küchen befand sich ein
gemauerter Küchenherd - eine Kombination aus Heizofen und Kochherd mit
seitlich eingebauter Backröhre. Toiletten befanden sich auf halber
Treppe, eine Waschstelle in der Küche. Keller und Dachboden waren in
kleine Verschläge abgetrennt, für jede Mietpartei einen. Die Fenster
waren anfangs wahrscheinlich einfach verglast und wurden später zu
Kastenfenstern umgebaut.
Die Decken und Wände in den Wohnungen waren
gestrichen, teilweise schabloniert und mit dekorativem Deckenspiegel
versehen. Das Treppenhaus zeichnete sich durch Steinimitations-malerei
im Sockelbereich mit abschließender floraler Bordüre und gerahmter
Wandschablo-nierung aus - ein ungewöhnliches Erscheinungsbild für ein
Hinterhaus!
Die Beleuchtung erfolgte anfangs mit Stadtgas, erst in den
30er Jahren erfolgte die Umstellung auf elektrisches Licht. Kraftwerke
hießen damals noch Lichtwerke, was auf die hauptsächliche Nutzung der
Elektroenergie zu Beleuchtungszwecken hinweist.
Für das Dachgeschoss waren drei Stromzähler vorhanden. Dort wurde außer den zwei Woh- nungen zeitweilig ein Zimmer separat vermietet - eine echte „Ein-Raum-Wohnung“! Die Woh- nungsnot um die Jahrhundertwende hatte zur Folge, dass viele Familien genötigt waren, ein- zelne Zimmer oder gar nur Schlafstellen unterzuvermieten.
Die Stromzähler haben ihre
Arbeit bis 1995 zuverlässig verrichtet.
Zum Wäschewaschen gab es im Vorderhaus einen
Waschkeller mit Kessel. Im Winter ver-
suchten die Hausbewohner mit allerlei Vorsichtsmaßnahmen das
Einfrieren der bleiernen Wasserleitungen (insbesondere auf den Außentoiletten)
zu verhindern. In einer zeittypischen Hausordnung heißt es dazu:
„§10. Bei eintretender Kälte darf, um das Zufrieren der Gossen zu vermeiden, nur in der Mittagszeit ausgegossen werden, auch wird bei starker Kälte gegen Abend das Wasser abgestellt und früh bez. Vormittags wieder angestellt, je nach der Kälte; das Abstellen wird vom Hausmann angesagt.“
Das Dresdner Adressbuch von 1941gibt auch Aufschluss über die Bewohner der Rosenstraße 94.
Die Bebauung dürfte in den 30er Jahren ihre höchste Dichte erreicht haben, wie dieses alte Luftbild der Kreuzung Rosen-/ Ammon- straße zeigt.
Von den Zerstörungen des 2. Weltkrieges war die Rosenstraße stark betroffen. Schon der erste Angriff am 7.Oktober 1944 forderte bei den Beschäftigten von Hartwig & Vogel viele Opfer. Die Angriffe im Februar 1945 ließen auch das Gebiet zwischen Rosen- und Freiberger Straße in Schutt und Asche sinken.
Die Vorderhaus der Nr.94 brannte vollständig aus. Die Bewohner überlebten den Angriff im Keller des erhalten gebliebenen Hinterhauses, der als sog. Luftschutzraum baulich verstärkt worden war. Während des Angriffs durchschlugen zwei Stabbrandbomben das Dach des Hauses, wurden aber von beherzten Bewohnern bemerkt und rechtzeitig gelöscht. Ein charakteristischer Brandfleck auf dem Dachboden zeugt davon, in welcher Gefahr sich das Haus und seine Bewohner befanden.
Rosenstraße Nr.98, 96, 94
Sept. 1948
Rosenstraße 98 und 96 aus der gleichen Perspektive vor der Zerstörung Hier befand sich bis zum Umzug nach Dresden-Reick 1926 die Firma Josef Schmalzeder Erben, aus der nach dem Krieg der VEB Stanzila (Stanzen-Ziehen-Lackieren) hervorging. Besonders die Aluminium-Brotdosen aus diesem Betrieb sind vielen Dresdnern vertraut.
1949 begann die Großflächenenttrümmerung in der Altstadt Dresdens. Die Beräumung der inneren Rosenstraße erfolgte in den Jahren 1952/53. Um 1957 war dann auch der äußere Teil bis zur Nr.96 weitgehend von Ruinen und Schutt befreit und bot ein recht trostloses Bild. Nur an der Pflasterung der Bürgersteige war noch zu erkennen, wo sich die Hauseingänge früher befanden.
Rosenstraße Nr. 96 u. 94 im Januar 1958
(im Hintergrund die Kartonagenfabrik Kranz, die am 26.4.1972 in Volkseigentum überging)
Der innere Teil der Rosenstraße wurde ab 1958 neu bebaut. Dem Zeitgeist entsprechend verzichtete man auf die frühere geschlossene Bauweise in hofumschließenden Quartieren. An ihre Stelle trat eine Zeilenbauweise, die Licht und Luft ungehinderten Durchlass boten. Die neuen Straßen folgten zwar dem alten Verlauf, doch es entstanden reine Wohngebiete anstelle des früheren Gemischs aus Wohnungen, Geschäften und Kleinunternehmen.
Aufruf des Deutschen Friedens- komitees anlässlich des Jahrestages der Zerstörung Dresdens 1952
Nach der Trümmerberäumung wurden am Hinterhaus der Nr.94 Reparaturmaßnahmen durch- geführt. Man ersetzte einige Fenster, erneuerte den Außenputz und 1961 (“im dritten Jahr des Siebenjahrplanes“) wurde das Treppenhaus überstrichen. Hausbewohner nutzten einen Teil der Trümmersteine des Vorderhauses zum Bau eines Schuppens, legten Blumenbeete an und pflanzten Bäume.
Ab 1970 sollte die Umgestaltung der Altbaugebiete zur Schaffung „sozialistischer Wohnverhält- nisse“ beginnen. Zum Abriss waren Gebiete wie Friedrichstadt, Löbtauer Straße, Freiberger Straße und auch der äußere Teil der Rosenstraße vorgesehen. Doch die Kraft der volkseigenen Wohnungswirtschaft reichte weder zum Abriss noch zum Erhalt der alten Gebäude.
Besonders rasch verfielen jene Häuser, die nicht mehr oder nur noch teilweise belegt waren. Da der Abriss beschlossene Sache war, wurde nur noch das Nötigste zum Erhalt getan. Als einen glücklichen Umstand kann man unter diesen Umständen eine Vereinbarung bezeichnen, die Anfang der 80er Jahre zwischen der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) des Stadtbezirkes West und der TU Dresden/Abt. Wohnheime geschlossen wurde: Studenten und Aspiranten konnte vorübergehend Wohnraum zur Verfügung gestellt werden und gleichzeitig umging man das Problem unbefristeter Mietverträge. Gegebenenfalls konnte man so die betreffenden Gebäude in kurzer Zeit „leerwohnen“ und zum Abriss bereitstellen.
So kam es, dass die Rosenstraße 94 Anfang der 80er Jahre überwiegend von Studenten be- wohnt war. Die Miete hatte sich seit der Vorkriegszeit nicht verändert und betrug 32,- Mark. Aber die Ausstattung mit einem Kachelofen pro Wohnung, mangelhafter Elektroinstallation (10A) und anderen Unzulänglichkeiten hatte zur Folge, dass das Haus zur Wendezeit fast leer stand.
Die Kreuzung Rosenstraße/ Papiermühlen- gasse auf einer alten Postkarte.
Die gleiche Kreuzung 100 Jahre später. (2015)
Die Elektro- installation aus den 30er Jahren war für Beleuch- tungszwecke ausgelegt.
Dresden veränderte sich in den 90er Jahren schnell – nicht
immer zum Vorteil. Überall wurde saniert und neu gebaut. Aber in manchem
Stadtteil schien die Zeit stillzustehen. Zehn Jahre nach der Wende sah es in
der Rosenstraße noch immer aus wie 1970.
Mit dem Eigentümerwechsel im Jahr 2000 bot sich die Chance,
das Haus vor Abriss oder rein kommerzieller Sanierung zu bewahren. Instandsetzung
und Modernisierung mussten nach 100 Jahren erfolgen, das war klar. An einer
modernen Heizung, neuer Elektrik und einem Bad in jeder Wohnung führte kein Weg
vorbei. Auch ein neuer Außenputz und Dachdeckung waren notwendig.
Das Ziel war, dabei möglichst viel Originalsubstanz zu
erhalten. Türen und Fenster wurden aufgearbeitet. Das Treppenhaus wurde
restauriert bzw. nach Befund rekonstruiert. Die Wohnungsquerschnitte wurden
beibehalten, vorhandene Dielung aufgearbeitet.
Bei Schachtarbeiten für die Verlegung neuer Gas- und
Wasserleitungen fanden sich reichlich Fundstücke, die an das zerbombte Vorderhaus
erinnern.
"Ausgrabungen": Geschmolzenes Glas und verschiedene Metallteile
vermutlich der Rest eines Kachelofens
Nicht alles, was man im Vorgarten findet, ist harmlos. Diese Panzer- granate aus dem zweiten Weltkrieg kam beim Einpflanzen einer Rose zum Vorschein.